Nach dem parlamentarischen Vorstoss eines Walliser Nationalrates soll bei sexuellen Belästigungen künftig eine Umkehr der Beweislastverteilung stattfinden. Damit wird ein mutmasslicher Täter beweisen müssen, dass ein Übergriff tatsächlich nicht stattgefunden hat. Die Tat selber wird entsprechend vermutet.
Die Beweisführung bleibt bei Verbrechen und Vergehen gegen die sexuelle Integrität tatsächlich schwierig. Aber rechtfertigt dieser Umstand eine komplette Umkehr von den Grundsätzen, welche unsere Rechtsordnung prägen. “Im Zweifel für den Angeklagten” oder die “Unschuldsvermutung” sind feste Prinzipien, welche auf einem Selbstverständnis fussen: Niemand soll für eine Tat zur Rechenschaft gezogen werden, deren Ausübung nicht beweisbar bleibt. Diese Grundkonzeption der Rechtsordnung mag nicht in jedem Fall zu einem gerechten Ergebnis führen. Leider lassen sich nicht alle Straftaten – oder die vorliegend diskutierten Fälle von sexuellen Belästigungen – aufklären bzw. Täter überführen. Die Idee, die Beweislast im Einzelfall umzukehren und dadurch eine vermeintlich gerechtere Welt zu schaffen, ist hingegen absurd. Das Strafrecht sanktioniert Verbrechen und Vergehen, welche einem Täter zweifelsfrei bzw. ohne vernünftige Zweifel zugeordnet werden können. Es dient hingegen nicht dazu, Menschen unter Generalverdacht zu stellen und strafbares Verhalten als Prämisse vorauszusetzen, welche zuerst widerlegt werden muss. Es ist vielmehr Aufgabe des Staates, Untersuchungshandlungen sauber und seriös zu gestalten und den Sachverhalt von Amtes wegen zu eruieren. Gerade im Interesse des Opfers selber. Eine Umkehr der Beweislastverteilung erschüttert unser Rechtsverständnis in seinen Grundfesten und führt zu Willkür und Vorverurteilung.