“Gealtert sei Europa, müde und ausgezehrt wie eine Grossmutter. Die Menschen seien vereinsamt, sie frönten einem rücksichtslosen Egoismus und einer unmenschlichen Wegwerfkultur. Im Zentrum der Politik stehe nicht mehr der Mensch an sich, sondern einzig der wirtschaftliche Nutzen”. Diese Worte äusserte Papst Franziskus vor rund drei Jahren anlässlich seiner Rede vor dem EU-Parlament.
Seine Aussagen sind pointiert. Vielleicht sogar ungerecht. Eine solidarische Gesellschaft bedingt nämlich auch das Vorhandensein von Prosperität, welche letztlich immer mit Wettbewerb und eigener Interessenwahrung verbunden bleibt. Andererseits ist augenscheinlich, dass sich immer mehr Menschen entwurzelt fühlen. Einsamkeit, Isolation und Überforderung sind ein zunehmendes Phänomen. Aus dieser Perspektive erscheint der Appell von Papst Franziskus durchaus angebracht. Gerade die Weihnachtszeit bietet Gelegenheit zur Entschleunigung und Reflexion über die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Das Lachen eines Kindes zum Weihnachtsfest, die strahlenden Augen beim Öffnen der Geschenke lässt den Unterschied zwischen „Wesentlichem“ und „Unwesentlichem“ in aller Schärfe erkennbar werden. Für einen kleinen Moment rückt der persönliche Egoismus in weite Ferne.
Betrachtet man die aktuelle politische Weltlage, erscheint die Forderung nach einer solidarischen und menschlichen Gesellschaft aktueller denn je. Exemplarisch sei an dieser Stelle der Konflikt im Jemen erwähnt, wo sich weitgehend abseits der öffentlichen Wahrnehmung eine humanitäre Katastrophe von unglaublichem Ausmass abspielt. Wenn aufgrund der Durchsetzung einer geopolitischen Interessenpolitik hunderttausende Menschen an Hunger und Seuchen sterben und rund zwei Millionen Babys und Kinder aktuell unterernährt sind, hat die Staatengemeinschaft schlicht versagt. Gerade Europa mit seiner Vergangenheit muss sich zur Hilfeleistung verpflichtet fühlen und die Missstände beim Namen nennen. Der Appell von Papst Franziskus scheint also aktueller denn je. Die Adventszeit mit ihrer christlich-humanistischen Botschaft und der vorstehend beschriebenen Optik für das “Wesentliche” bietet Anlass genug.